Verformbare Schale

Würdigung
von Peter Nickl – Handwerkskammer für München und Oberbayern

Die menschliche Vorstellung speichert tradierte Formen und hält sie als gegeben fest. Dies gilt vor allem dann, wenn es sich um klassisches Formengut handelt. Es ist ein überraschender und die Optik irritierender Effekt, wenn sich eine solche Form plötzlich variieren und deformieren lässt. Bei der hier mit dem Bayerischen Staatspreis für Nachwuchsdesigner ausgezeichneten Silberschale ist dies der Fall. Ihr Rand lässt sich verbiegen, die Seiten lassen sich gleich- oder auch wechselseitig hochziehen oder niederdrücken und je nach dem, ob das Gefäß hoch aufgezogen oder flach auslaufend ist, wechselt es seine Erscheinungsform.

Die Möglichkeit dieser Verformbarkeit bewirkt ein Mechanismus, der sehr einfach, dann aber auch wieder sehr differenziert ist. Er arbeitet nach dem Prinzip der Luftschlange. Die Festigkeit und Stabilität der Form garantieren geschickt und ausgefeilt integrierte Profile.

Überzeugend ist die überraschende Ästhetik mit der eine im Grunde bekannte Form neu bewusst gemacht wird. Von der optischen Wahrnehmung her wird hier eine in sich geschlossene Form, die sich schichtweise aus Ringen aufbaut, in eine Fülle variierbarer Einzelteile zerlegt. Die Konstruktion bewirkt ein reizvolles Spiel von Licht und Schatten und eine visuelle Auflösung der Oberfläche. Deren Bewegtheit und Lebendigkeit führt zu einem Erscheinungsbild, das einen sehr selbstverständlichen, beinahe naturhaft gewachsenen Charakter hat. Als exemplarisch hervorgehoben wurde auch die neuartige technische Idee. Man kann sich vorstellen, dass sich der Mechanismus, der meisterhaft funktioniert, auch auf verschiedenartigste andere Anwendungsmöglichkeiten übertragen lässt. Es ist durchaus ein Anliegen des Bayerischen Staatspreises für Nachwuchsdesigner, solche technischen Innovationen herauszustellen und deren Ideenträger in dieser Form zu fördern. Die Geschichte des Preises zeigt, dass bereits vergleichbar ungewöhnliche Erfindungen in serielle Produktionen Eingang gefunden haben. Technische Innovationen sind für Silberschmiede nicht ungewöhnlich. Längst haben die Vertreter dieses Berufes ihr klassisches Wirkungsfeld verlassen. Das silberne Gefäß und Gerät hat in unserem Alltag und Gesellschaftsleben seit langem nicht mehr den Rang und Stellenwert, den es früher hatte. Dass dieses Handwerk in so überzeugender Weise in unsere Zeit herübergeführt wurde, ist dem Erfinder- und Tüftlergeist zu danken, der mit immer wieder überraschenden Neuheiten auf sich aufmerksam macht, sich damit neue Märkte erschließt und die eigene Lebensexistenz sichert. Christofer Born wurde an einer bayerischen Fachschule handwerklich ausgebildet. Er schloss seine Schulzeit mit der Gesellenprüfung ab. Seine gestalterische Fortbildung erfährt er derzeit durch sein Studium an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg in der Fachklasse der Silberschmiede bei Frau Professor Ulla Meyer.

Christofer Born

Akademie der Bildenden Künste Nürnber

Betreuer:
Prof. Meyer

Fliegender Kindergarten für Langstreckenflugzeuge


Würdigung
von Prof. Richard Sapper – Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

Der Bayerische Staatspreis für Nachwuchsdesigner teilt sich in eine Abteilung für Industriedesign und eine zweite für das Handwerk. Von den drei ausgesetzten Preisen sind zwei für Industriedesign und einer für das Handwerk vorgesehen. Bei der Ausgabe dieses Jahres fällt auf, dass zwei Preise an Arbeiten aus dem Handwerk und nur einer an eine Diplomarbeit des Industriedesigns verliehen worden sind. Ich möchte hier ganz kurz auf die Ursache eingehen.

Industriedesign ist ein zwar sehr begehrter Beruf, aber auch ein ganz ungemein komplizierter. Der Designer übt seine Tätigkeit auf einem Verkehrsknotenpunkt aus, auf dem nicht nur die verschiedensten Interessenrichtungen innerhalb einer Firma mit Bezug auf ein Produkt miteinander zusammenstoßen, sondern auch die der Außenwelt: also nicht nur Funktionstüchtigkeit, Herstellungstechnik, Materialverbrauch, Umweltschutz, Servicefreundlichkeit, Herstellungskosten, sondern auch Konzepte wie Haltbarkeit, Ergonomie oder Gebrauchsnutzen und Bedienungsfreundlichkeit. Und damit nicht genug, zu all diesen rationalen Komponenten kommen auch noch metaphysische wie Schönheit, Stolz, Revolution oder Konservation. Kein Wunder, dass der Designer, auch in jungen Jahren, nach einem Strohhalm sucht, an dem er sich eventuell festhalten kann, und ihn oft in einer ganzen Mauer aus rationellen Argumenten findet, hinter der er seine Schöpfung versteckt. So findet sich dann manchmal eine Jury gegenüber einer Sammlung von Projekten voller guter Ideen, gründlicher Arbeit und überzeugender praktischer Lösungen, bei denen die formale Seite aber nicht ausgesprochen begeisternd ausgefallen ist. Auf der Suche nach der zündenden Idee blieb die Jury heuer einige Male öfter auf der handwerklichen Seite der Wettbewerber hängen und dies ist der Grund für das ungewöhnliche Ergebnis.

Die prämierte Designdiplomarbeit Fliegender Kindergarten von Juliane Trummer bleibt von solchen Betrachtungen unberührt. Hier haben wir ein Schulbeispiel dafür, was Industriedesign sein sollte: nicht ein Versuch, Produkte zu verschönern, die es schon gibt und niemand mehr braucht, um sie noch länger am Leben zu erhalten, sondern die Erfindung von Produkten, die viele oder alle brauchen, aber die es noch gar nicht gibt – weil noch nie jemand auf solch eine Idee gekommen ist, oder auch weil im Tumult des vorhin beschriebenen Verkehrs- oder Interessenknotenpunktes die Stimme des Verbrauchers nicht gehört wurde. Alle reden heute von Verbraucherfreundlichkeit. Was ist denn das? Haben Sie, wenn Sie in der Touristenklasse eines modernen Passagierflugzeuges sitzen, den Eindruck, dass dieses Vehikel mit Bequemlichkeit und dem Wohlbefinden des Reisenden im Blickpunkt entworfen wurde? Ich nicht. Hier geht es um Rentabilität, Gewinn und Verlust, Sicherheit, Wartungsfreundlichkeit, aber nicht um Wohlbefinden. Im “Fliegenden Kindergarten” aber können wir sehen, wie ein Produkt entworfen wird, bei dem das Interesse eines Verbraucherkreises im Blickpunkt stand, der sich überhaupt nicht melden, und auch keinen Airbus bestellen kann: die kleinen Kinder auf einem Langstreckenflug. Die Dokumentation dieses Beitrags zeigt auch, wie so etwas von der Methodologie her beispielhaft gemacht wird:

· die Feststellung des Bedarfs durch die ständige Zunahme von Langstrecken und Superlangstrecken sowie die Analyse der Bedürfnisse von Kindern verschiedenen Alters im Flugzeug,

· die Erkennung der realisierbaren Technologie durch Verwendung der schon vorhandenen Container für Gepäck, Küche und Mannschaftsruheraum,

· die konkrete Zusammenarbeit mit dem Flugzeughersteller,

· die Erarbeitung nicht nur eines in Funktion und Dimension variablen und anpassungsfähigen Kinderspielplatzes, sondern auch die Erfindung flugspezifischer neuer Aktivitäten für Kinder einer ganzen Altersspanne.

All dies unter Aufgabe von nur zwei Sitzplätzen im Passagierraum und schließlich mit einer Fülle neuer Gestaltungsideen in der Ausführung des ganzen Konzeptes. Noch selten haben wir eine Diplomarbeit gesehen, bei der Phantasie, Realität und Gemeinsinn so nahe beieinander wohnten wie hier.

Juliane Trummer

Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

Betreuer:
Prof. Sapper