Silberdosen
Würdigung
von Peter Nickl – Handwerkskammer für München und Oberbayern
Der Bayerische Staatspreis für Nachwuchsdesigner wird in diesem Jahr zum vierten Mal vergeben. Zum vierten Male gehen Preise an Absolventen deutscher Design-Hochschulen und an junge gestaltende Handwerker. Die Tatsache der wiederholten Vergabe fordert die Frage heraus, wie die Handwerksform in den vergangenen Jahren dem Vergleich mit dem Industriedesign standgehalten hat. Das Kunsthandwerk oder auch gestaltende Handwerk nimmt gegenüber dem Design bekanntlich eine Außenseiterposition ein. Es wurde von der Industriekultur in einen wirtschaftlichen Nischenbereich gedrängt und spielt dort – und dies durchaus mit Erfolg – die Rolle des kulturellen Gegenparts. Kunsthandwerk wartet mit hohen ästhetischen Besonderheiten, gestalterischen Speziallösungen auf, seine Arbeiten haben oft Seltenheits- und Unikat-Charakter, auch dann, wenn sie in Kleinserien gefertigt werden. Bei den handwerklichen Arbeiten, die in den vergangenen Jahren den Bayerischen Staatspreis für Nachwuchsdesigner erhielten, war die Verwendbarkeit meist ausgefallen und die Ausführung zeichnete sich oft durch eine unerwartete, handwerklich-technische Raffinesse aus.
Zu denken ist an den zweiteiligen, in sich verschiebbaren Paravent, den Drachen-Stuhl, der kaum 1.000 Gramm wog, oder den ausladenden, für eine Hotelhalle bestimmten Sessel aus Rattan-Rohr. Was Arbeiten aus dem Bereich des Handwerks von denen des Industriedesigns grundsätzlich unterscheiden sollte, ist der Prozess des Machens. Der Handwerker ist in der Lage, die Fertigung in jeder Phase des Herstellungsvorgangs zu bestimmen. Seine Arbeit dokumentiert die unmittelbare Auseinandersetzung mit Material, Technik, Funktion, die intime Kenntnis handwerksimmanenter Schwierigkeiten, das Wissen um Problemlösungen. Handwerkliche Arbeiten tragen das Signum individueller, unverwechselbarer Formgebung und sind darüber hinaus oft auch Ausdruck einer individuellen Lebens- und Arbeitsform.
Festzustellen ist freilich, dass das wesenhafte kunsthandwerklicher Arbeiten in den letzten Jahren oft dem Design imitiert wird – dies offensichtlich in dem Bemühen, die Grenzen der eigenen Profession zu sprengen. Memphis steht hier für viele Versuche Pate. Der gestaltende Handwerker ist von seiner Auftrags- und Aufgabenstellung her nicht so sehr der Erfinder neuer Formen, sondern der Bewahrer eines überkommenen Formenguts, das er modifiziert und das sich durch eine verfeinerte Handwerksarbeit auszeichnet. In diesen Kontext sind auch die Teedosen zu stellen, die von Karin Brock gefertigt wurden und für die sich die Jury mit großer Mehrheit entschieden hat. Sie bestechen durch die Klarheit, Einfachheit und Entschiedenheit, mit der sie gefertigt sind. Die Größe der Dosen entspricht den Dimensionen und Proportionen der Hand, das Oval dem Vorgang des Greifens. Die schräge Oberseite erinnert an Schütter, wie sie früher in Kolonialwarenläden verwandt worden sind.
Karin Brock nennt diese Dosen “schnelle Dosen”, weil sie sich mit einem Griff sprungdeckelartig öffnen lassen. Der Deckel ist durch die natürliche Spannung gehalten, unter der die Wandung der Dosen steht. Diese Spannung kommt aus dem Material Silber, das hier in idealer Stärke verarbeitet, d. h. über einem Eisen planiert, gebogen und montiert wurde. Der Dosenrand ist ohne haltenden Ring, so dass die Spannung flexibel genutzt werden kann. Bei einem leichten Druck der Seitenwände springt der Deckel aus seiner Halterung. Die Dosen sind einhändig zu öffnen. Die schüttgerechte Form garantiert eine Dosierung auch in kleinsten Mengen.
Der den Deckelrand einsäumende Gummiwulst gewährt luftdichten Verschluss. Wer eine dieser Dosen in der Hand hält und sie genau betrachtet, erkennt die Intensität, Präzision und auch den Fleiß, mit der diese Gefäße gearbeitet wurden. In ihrer Selbstverständlichkeit und Einfachheit haben sie Modellcharakter, auch für eine Fertigung in Kleinserie, was eine wesentliche Aufgabenstellung dieses Wettbewerbs war.